Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Vertragsbeendigung während seiner Probezeit

Dieser Artikel wurde gemeinsam von Dr. Daniel SMYREK, Petra KUHN und Pauline BLARD verfasst. 

Im französischen Arbeitsrecht kann ein Arbeitgeber in der Regel den Vertrag innerhalb der Probezeit beenden, ohne dass dem Arbeitnehmer ein Entschädigungsanspruch zusteht.

Vor diesem Hintergrund ist es gängige Praxis, auch in Handelsvertreterverträgen Probezeiten zu vereinbaren.

Bemerkenswerter Weise stärkt das frz. Kassationsgericht die Ansprüche des Handelsvertreters während der Probezeit dergestalt weiter aus, dass dessen Schutzregime nunmehr mitunter sogar vorteilhafter ausfällt, als die arbeitsrechtlichen Regelungen für Arbeitnehmer.

Zwar ist der Handelsvertreter rechtlich unabhängig und nicht weisungsgebunden, befindet sich aber oft in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von seinem Auftraggeber. Aus diesem Grund steht dem Handelsvertreter ein Ausgleichsanspruch bei Vertragsbeendigung zu.

Artikel 17 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter sieht einen grundsätzlichen Entschädigungsanspruch zugunsten des Handelsvertreters bei Vertragsauflösung seitens des Auftraggebers vor. Jedoch obliegt es den Mitgliedstaaten, die Höhe des Ausgleichsanspruchs festzulegen; diese verfügen insoweit über einen großen Ermessenspielraum.

Im französischen Recht bestimmt Artikel L 134-12 des frz. Handelsgesetzbuches, dass dem Handelsvertreter ein Ausgleichsanspruch bei Vertragsbeendigung zusteht; die Höhe des Ausgleichsanspruchs beträgt nach konstanter Rechtsprechung in der Regel zwei Durchschnittsjahresprovisionen.[1]

Unklar war bisher jedoch, ob dem Handelsvertreter dieser Ausgleichsanspruch auch dann zusteht, wenn es während seiner Probezeit zur Vertragsbeendigung kommt.

In seiner früheren Rechtsprechung hatte das frz. Kassationsgericht den Ausgleichsanspruch, soweit die Vertragsauflösung während der Probezeit des Handelsvertreters erfolgte, mit dem Argument ausgeschlossen, dass der Entschädigungsanspruch „für seine Anwendung voraussetzt, dass der Vertrag endgültig abgeschlossen wird.[2]

Jedoch wurde diese Auffassung vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren verworfen.[3] Letzterer entschied, dass die Regelungen der Entschädigung ,,anwendbar sind, selbst wenn die Auflösung während der Probezeit erfolgt.“[4]

In seiner neuesten Entscheidung vom 23. Januar 2019 folgte das frz. Kassationsgericht dem EuGH und erklärte das Entschädigungsregime nach Artikel 17 der Richtlinie 86/653/EWG im Falle der Vertragsbeendigung des Handelsvertreters auch dann für anwendbar, wenn die Auflösung innerhalb dessen Probezeit erfolgt.[5]

Somit kann eine vereinbarte Probezeit nicht mehr die Nichtzahlung des Ausgleichsanspruchs im Falle einer Vertragsbeendigung seitens des Auftraggebers rechtfertigen. Nur die in Artikel 18 der Richtlinie 86/653/EWG bzw. Artikel 134-13 des frz. Handelsgesetzbuches genannten Gründe und damit insbesondere ein schweres Verschulden des Vertreters, können den Ausschluss des Entschädigungsanspruchs rechtfertigen.

Der Schutz des Handelsvertreters wurde damit weiter ausgebaut.

Fraglich dürfte aber weiter die Höhe des Ausgleichsanspruchs für den Fall bleiben, dass die Vertragsbeendigung innerhalb der Probezeit – die in der Praxis oftmals deutlich unter zwei Jahren liegen dürfte – erfolgt. Ein frz. Berufungsgericht hatte sich bei der Beendigung eines Vertragsverhältnisses von weniger als einem Jahr Dauer geweigert, dem Handelsvertreter – aufgrund der kurzen Laufzeit – die zwei Jahresprovisionen zuzusprechen.[6]

Fazit:

Die Entscheidung vom 23. Januar 2019 weitet zwar das Schutzregime des Handelsvertreters aus, bewirkt aber auch gleichzeitig, dass man die Relevanz der Probezeit im Rahmen des Handelsvertretervertrages hinterfragt; das Interesse des Auftragsgebers an der Vereinbarung einer solchen Probezeit dürfte mit dieser Entscheidung gemindert sein.

Aufgrund der derzeit fehlenden Präzisierung der Höhe des Ausgleichsanspruchs innerhalb der Probezeit seitens des frz. Kassationsgerichts, dürfte jedoch dessen Höhe grundsätzlich – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – geringer ausfallen.

Folglich ist die weitere Entwicklung der Rechtsprechung hinsichtlich der Höhe und Bemessungsgrundlage des Ausgleichsanspruchs bei Vertragsbeendigung innerhalb der Probezeit zu verfolgen.

[1] Berufungsgericht Lyon, 28. April 2016, Nr. 15/01103.

[2] Handelskammer des Kassationsgerichts, 17. Juli 2001, Nr. 97-17.539.

[3] Handelskammer des Kassationsgerichts, 6. Dezember 2016, Nr.15-14.212.

[4] EuGH, 19. April 2018, Sache C-645/16.

[5] Handelskammer des Kassationsgerichts, 23. Januar 2019, Nr. 15-14.212.

[6] Berufungsgericht Colmar, 11. März 2016, Nr. 14/01484.

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